Montag, 19. Mai 2014

Sonntagsnostalgie (2): Mortal Kombat oder: The Beauty of Pixelblut




In Zeiten allgemeiner Paranoia und um sich greifender Lebensfurcht scheint es nicht besonders ratsam zu sein, einen Artikel zu schreiben, der der Schönheit virtueller Gewalt gewidmet ist. Sei's drum, ich bin ein Kind der 90er, mit Bushido, Counterstrike und rotten.com aufgewachsen, somit laut einschlägigen Experten innerlich praktisch tot und hab' also eh nix zu verlieren.


Diese Kolummne widmet sich der allseits bekannten sonntäglichen Nostalgie und so ist es an der Zeit, die Augen zu schließen und die wunderbaren Gefühle seiner Kindheit Revue passieren zu lassen: Wenn ich an meine Kindheit denke, denke ich an gewagte Sprünge vom Kletterdach des Spielplatzes, ich denke an den Duft des Lavendel-Sträuchleins vor der Baustelle gegenüber... Und ich denke daran, wie mein virtueller Kampfmönch mit Namen Scorpion dem gegnerischen Soldaten Jax bei dem Oldschool-Prügelspiel Mortal Kombat mit einem Finish'em beide Arme ausgerissen hat, so dass er fontänenartig aus seinen beiden Stümpfen ausgeblutet ist. Das klingt krass, war aber vor mindestens fünfzehn Jahren und hatte so beschissene Grafik, dass die Gewalt nur mit Einsatz von ner Meeeeenge Fantasie wirklich schockierend gewesen wäre.

 Außerdem gab es einen Film (Baujahr 1995), in dem Pappmaché-Figuren vor Pappmaché-Kulissen herumhampelten und ein grauhaariger Christopher Lambert so eine Art Lampenschirm auf dem Kopf spazieren trug, der mir nächtelange Albträume bescherte. Und dazu kam dieser ultraschlechte Techno-Song von oben, der sich bis heute von Zeit zu Zeit durch meine Hirnwindungen spült. In der Regel höre ich ihn dann drei Stunden lang in Dauerschleife und mache ein paar Karate-Moves durch mein Wohnzimmer. Woher aber kommt diese ungebrochene Faszination für die Kunst des grausamen 1on1-Tötens, die offensichtlich nicht nur mich befällt? Schließlich erfreut sich das Mortal Kombat-Franchise bester Gesundheit und produziert in regelmäßigen Abständen mal mehr, mal weniger gute Prügelspiele.

Um diese Frage zu beantworten,  muss man zurückgehen in meine Kindheit, in eine Zeit, die sich nicht geschämt hat, obiges Lied zu produzieren und darauf auch noch stolz zu sein. Eine Zeit, in der die Filme billig und die Spiele schäbig waren, aber verdammt, sie hatten Herz. Im Gegensatz zum Hochglanzmüll, den die Unterhaltungsindustrie uns heutzutage im Jahrestakt vorsetzt (Jahr für Jahr das exakt gleiche FIFA-Spiel mit aktualisierten Spielerdaten oder der zehnte Spiderman-Relaunch, um nur ein paar Beispiele zu nennen) hatte man damals noch die Eier, zu dem Scheiß zu stehen, den man produziert hat. Und believe me, in den 90ern gab es wirklich eine Menge Scheiß.
Stichwort Mortal Kombat: Ein Paralleluniversum, in dem alle tausend Jahre von bösen Asiaten tödliche Kämpfe ausgetragen werden und die Erde von einem völlig willkürlichen Team, bestehend aus Johnny Cage (Schauspieler), Sonja (Polizistin) und einem oberkörperfreien Martial-Arts-Kämpfer (Liu Kang, und ja, ich weiß das auswendig) vertreten wird? Prinz Goro, der vier Arme, einen unterirdischen Intellekt und äußerst empfindliche Geschlechtsteile hat? Kostüme, die aussehen wie die Frottee-Schlafanzüge, die ich als Kind tragen musste? Yes yes ya'll! Als Pioniergeneration der Videospiele und des Mainstreamkinos wissen wir um die Zeiten, in der es noch an allen Ecken und Enden gerumpelt und gekracht hat, in denen man Mortal Kombat 1 ohne Kopierschutz mal eben auf 16 (sic!) Disketten raubkopieren konnte, in denen blaues Licht blau geleuchtet hat, GTA noch in 2D war und Arnold Schwarzenegger vom hundsgewöhnlichen Bodybuilder (und vor Kollegah war Bodybuilding noch nicht wirklich cool) zu einer Legende names Terminator wurde.

Wir haben uns nicht beschwert, wenn die VHS gerauscht haben, weil sie zum zehnten Mal überspult wurden. Videospielkassetten wurden durch herzhaftes Reinpusten repariert. Und eine ominöse, zergriffene Liste mit den besten und tödlichsten Tastenkombinationen für die brutalsten Knockouts bei einem ausgesucht hässlichen Spiel namens Mortal Kombat machte die Runde. Es waren die Pionierjahre einer neuen Ära, der beginnenden Digitalisierung der Welt, umweht von Aufbruchsstimmung und trashigem Japano-Techno. Und immer noch analog genug, um die Moves aus den Spielen auf dem Schulhof auszuprobieren und sich dabei versehentlich in die Fresse zu schlagen. Es waren einfach bessere Zeiten. Seien wir froh, dass wir sie erlebt haben.

In diesem Sinne ist doch alles gut. Three. Two. One. Fight!



Hier geht's zu den schönsten Finish'Ems der 2D-Ära:








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